Geschwister im Sport:
Viktor, Andreas und Alexander Deisling
Faust drauf (v. li.): Andreas, Alexander und Viktor Deisling fuehlen sich bei der SV Boeblingen wohl und haben ihre sportliche Heimat gefunden Foto: gdr
Vor ueber 20 Jahren kamen die Deislings aus Russland nach Deutschland. Drei der fuenf Brueder sind inzwischen aus der Boeblinger Box-Szene nicht mehr wegzudenken. Der 41-jaehrige Viktor ist Trainer, Alexander (39) hat aufgehoert, schaut aber ab und zu vorbei, und Andreas (34) wechselte erst vor kurzem zur SVB. Sechs Faeuste fuer einen Verein.
Von Michael Schwartz
BOEBLINGEN. Dass Viktor Deisling nach seiner ersten Uebungseinheit beim Boxen geblieben ist, laesst auf einen eisernen Willen schliessen. Sein damaliger Coach legte viel Wert auf die Fuehrungshand. Fast anderthalb Stunden lang. Ohne etwas zu trinken. "Am Ende hab? ich gedacht, mir kommt Schaum aus dem Mund", lacht der damals 17-Jaehrige bei dieser Erinnerung. Ebenso wie bei der an seine blaue Jacke. Die hatte einen Reissverschluss. Und um den auf dem Heimweg zu oeffnen, musste er seine gerade noch so beanspruchte linke Hand mit der rechten hochheben. "Ich war wie gelaehmt."Was ihm auch zu schaffen machte, war die Sauna. Denn die war nach dem Training Pflicht. "Vor allem im ersten halben Jahr war das die Hoelle", sagt Viktor Deisling. Keine Frage: Seine Anfangszeit hat den Boxer gepraegt.
Im September 1994 war der eiserne Vorhang schon laengst gelueftet, Jelzin und Kohl an der Macht, und die Deislings siedelten nach Boeblingen ueber. Ihre deutschen Wurzeln sind der Familie sehr wichtig. Die Kultur, die Sprache, der Stammbaum - das sollte weiterverfolgt werden. "Wir kennen nix anderes in unserem Blut, von unseren Vorfahren", sagen die Geschwister. Dass sie bei der SVB landeten, war eine glueckliche Fuegung. Es war im Mai 1995, als Viktor Deisling mit Freunden im Park laufen ging und dort auf einen mitgebrachten und am Reck montierten Boxsack Marke Eigenbau eindrosch. Zwei Maenner liefen vorbei und fragten: "Jungs, was macht ihr da für Scheisse?" Es waren Martin "Bogi" Bogdanski und Joachim Mack, zu jener Zeit Vereinstrainer. "Wenn ihr boxen wollt, kommt mal zu uns." Ein Angebot, das Viktor Deisling nicht ablehnen konnte. Auch wenn es wieder anstrengend wurde, denn er war etwas aus der Uebung. Und die Coaches Lothar Weiss, Gerhard Klopfer und Klaus Schulz waren dafuer bekannt, besonders auf Kraftausdauer zu achten. Seilspringen, Hanteln, Schattenboxen, Liegestuetzen. "Das Zirkeltraining hat alle fix und fertig gemacht", erzaehlt der damalige Neue.
Mutter klettert auch noch mit 75 auf Baeume, um Obst zu ernten
Doch wie schon in der Boxschule von Saratov zog er es durch. Zumal er immer Rueckhalt aus der Familie erfuhr. "Mein Vater hat versucht, uns beim Sport fast jeden Wunsch zu ermoeglichen. Er hat uns einen Fussball besorgt, aber auch Schlaeger Puck und Schlittschuhe." Die Beweglichkeit hat der Nachwuchs wohl von der Mutter geerbt. "Die steigt mit 75 heute noch auf Baeume hoch und erntet Birnen, Aepfel und Zwetschgen", berichten die Deislings mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Alexander Deisling kam erst mit 21 zum Boxen. "Ziemlich spaet", raeumt er ein, "wenn viele andere schon wieder aufhoeren." Aber zuvor hatte er einfach keine Zeit. Zwei Jahre lang war er regelmaessig auf Montage. Erst als er dann einen Job annahm, der ihm auch etwas Freizeit ermoeglichte, stieg er bei der SV Boeblingen ein. "Ich habe einen Ausgleich gebraucht", schildert er, und nennt dann die Gruende fuer diesen einen Verein: "Die Atmosphaere hier hat uns sehr gut gefallen. Wir wurden super aufgenommen. Man wird mit Respekt behandelt. Spuert sehr viel Waerme, obwohl man denken koennte, das sind alles Stiere." Viktor Deisling stimmt ihm da zu: "Im Ring werden alle gleich, das macht diesen Sport aus." Denn außerhalb des Seilgevierts seien sie durchaus auf Vorurteile gestossen. "Russen sind alle Kanaken", wurden sie ueber einen Kamm geschert. "Aber hier im Training wurde auf Leistung geachtet, sonst nix."
Die beiden aeltesten Brueder Johannes und Peter haben wenig mit der Sportart am Hut, obwohl diese in Russland sehr populaer war und ist. Dafür Andreas Deisling umso mehr. "Viktor ist mehr oder weniger mein Vorbild", haelt er grosse Stuecke auf diesen. Was ihre Plaene angeht, entwickelten die beiden Juengsten einen ganz unterschiedlichen Ehrgeiz. "Ich habe mir nie grosse Ziele gesetzt", verneint Alexander Deisling, "wollte nie ein großer Boxer werden, habe das immer fuer mich gemacht." 2003 wurde er dennoch einmal Dritter bei den baden-wuerttembergischen Meisterschaften. Andreas ging mit anderen Ambitionen an die Sache ran. Er wusste genau, was es sein sollte. Thaiboxen war nicht das Richtige fuer ihn. "Das war mehr wie eine Schlaegerei, viel Clinchen", beschreibt er. Beim Karate hingegen fehlte ihm der Vollkontakt. Also Boxen, wo Technik im Mittelpunkt steht. "Das ist meine Sportart." In der er es weit bringen moechte. "Ich wollte immer mal deutscher Meister werden."
Auch Pech verhinderte das bisher. So brach er sich im Finale der sueddeutschen Meisterschaft die Hand und musste sich mit Rang zwei zufriedengeben. Spaeter kam dann das Geldverdienen dazwischen. Es folgte eine gut fuenfjaehrige Pause, weil der Verfahrensmechaniker für Kunststoffe ein russisches Tanzcafé eroeffnete - in Bad Mergentheim, wo er auch wohnt und bisher in den Ring stieg. Seit diesem Jahr ist er seinen Bruedern nach Boeblingen gefolgt. "Ich will immer noch das Bestmoegliche erreichen", ist sein Ansporn weiterhin hoch. "Aber es ist schwer." Dennoch hofft er, dass es zum Durchbruch kommt. Mit 34 hat er allerdings nicht mehr ganz so viel Zeit. Sein Bruder Alexander hat die Handschuhe bereits an den Nagel gehängt. "Mit 37 ist offiziell Schluss fuer alle im Amateurboxen", klaert er auf. Und auch persoenlich findet er: "Man sollte seine Laufbahn rechtzeitig beenden. Aber das haengt auch vom Boxstil ab."
Viktor Deislings Sohn Eduard setzt Familientradition in Boeblingen fort
Zumal er mittlerweile auch selbst Vater ist, einen Sohn und eine Tochter hat. Alexander Deisling hat drei Soehne, "aber ob die auch mal Boxer werden, kann man noch nicht sagen". Bei Viktor Deisling hingegen weiss man es. Sohn Eduard - einer von zweien - steigt ebenfalls in den Ring. Natuerlich bei der SV Boeblingen, womit er die Familientradition fortfuehrt. Trainer ist der Papa, der seinen letzten Kampf im November 2001 bestritten hat, nachdem Eduard zur Welt gekommen war. "Das hat schon weh getan", denkt er mit Wehmut zurueck, "aber man muss Prioritaeten setzen." Die Meisterschule mit Fachrichtung Elektrotechnik war an den gleichen Abenden wie das Training. "Berufliche Ziele sind wichtiger, man muss die Familie ernaehren", gab es fuer Viktor Deisling keine Zweifel an dieser Entscheidung.
Seit 2014 betreibt er gemeinsam mit Alexander eine Bautraegergesellschaft. Dem Boxen blieb er jedoch erhalten. Als er seinen Meisterbrief in der Tasche hatte, machte er den Trainerschein in Nuertingen beim Wuerttembergischen Boxverband. Er half bei der SVB mit, arbeitete viel mit Jugendlichen, wurde dann auch Jugendsprecher. Im Mai 2009 bekam er die C-Lizenz und war von da an vollstaendig als einer von fuenf Trainern taetig. Der Zulauf zur Boeblinger Boxabteilungs ist immens, bis zu 35 Leute jeden Alters und Geschlechts bevoelkern an Trainingsabenden die Halle. Ob die hinterher auch die eine Hand mit der anderen heben muessen, um den Reissverschluss zu oeffnen, ist allerdings nicht ueberliefert.
Im September 1994 war der eiserne Vorhang schon laengst gelueftet, Jelzin und Kohl an der Macht, und die Deislings siedelten nach Boeblingen ueber. Ihre deutschen Wurzeln sind der Familie sehr wichtig. Die Kultur, die Sprache, der Stammbaum - das sollte weiterverfolgt werden. "Wir kennen nix anderes in unserem Blut, von unseren Vorfahren", sagen die Geschwister. Dass sie bei der SVB landeten, war eine glueckliche Fuegung. Es war im Mai 1995, als Viktor Deisling mit Freunden im Park laufen ging und dort auf einen mitgebrachten und am Reck montierten Boxsack Marke Eigenbau eindrosch. Zwei Maenner liefen vorbei und fragten: "Jungs, was macht ihr da für Scheisse?" Es waren Martin "Bogi" Bogdanski und Joachim Mack, zu jener Zeit Vereinstrainer. "Wenn ihr boxen wollt, kommt mal zu uns." Ein Angebot, das Viktor Deisling nicht ablehnen konnte. Auch wenn es wieder anstrengend wurde, denn er war etwas aus der Uebung. Und die Coaches Lothar Weiss, Gerhard Klopfer und Klaus Schulz waren dafuer bekannt, besonders auf Kraftausdauer zu achten. Seilspringen, Hanteln, Schattenboxen, Liegestuetzen. "Das Zirkeltraining hat alle fix und fertig gemacht", erzaehlt der damalige Neue.
Mutter klettert auch noch mit 75 auf Baeume, um Obst zu ernten
Doch wie schon in der Boxschule von Saratov zog er es durch. Zumal er immer Rueckhalt aus der Familie erfuhr. "Mein Vater hat versucht, uns beim Sport fast jeden Wunsch zu ermoeglichen. Er hat uns einen Fussball besorgt, aber auch Schlaeger Puck und Schlittschuhe." Die Beweglichkeit hat der Nachwuchs wohl von der Mutter geerbt. "Die steigt mit 75 heute noch auf Baeume hoch und erntet Birnen, Aepfel und Zwetschgen", berichten die Deislings mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Alexander Deisling kam erst mit 21 zum Boxen. "Ziemlich spaet", raeumt er ein, "wenn viele andere schon wieder aufhoeren." Aber zuvor hatte er einfach keine Zeit. Zwei Jahre lang war er regelmaessig auf Montage. Erst als er dann einen Job annahm, der ihm auch etwas Freizeit ermoeglichte, stieg er bei der SV Boeblingen ein. "Ich habe einen Ausgleich gebraucht", schildert er, und nennt dann die Gruende fuer diesen einen Verein: "Die Atmosphaere hier hat uns sehr gut gefallen. Wir wurden super aufgenommen. Man wird mit Respekt behandelt. Spuert sehr viel Waerme, obwohl man denken koennte, das sind alles Stiere." Viktor Deisling stimmt ihm da zu: "Im Ring werden alle gleich, das macht diesen Sport aus." Denn außerhalb des Seilgevierts seien sie durchaus auf Vorurteile gestossen. "Russen sind alle Kanaken", wurden sie ueber einen Kamm geschert. "Aber hier im Training wurde auf Leistung geachtet, sonst nix."
Die beiden aeltesten Brueder Johannes und Peter haben wenig mit der Sportart am Hut, obwohl diese in Russland sehr populaer war und ist. Dafür Andreas Deisling umso mehr. "Viktor ist mehr oder weniger mein Vorbild", haelt er grosse Stuecke auf diesen. Was ihre Plaene angeht, entwickelten die beiden Juengsten einen ganz unterschiedlichen Ehrgeiz. "Ich habe mir nie grosse Ziele gesetzt", verneint Alexander Deisling, "wollte nie ein großer Boxer werden, habe das immer fuer mich gemacht." 2003 wurde er dennoch einmal Dritter bei den baden-wuerttembergischen Meisterschaften. Andreas ging mit anderen Ambitionen an die Sache ran. Er wusste genau, was es sein sollte. Thaiboxen war nicht das Richtige fuer ihn. "Das war mehr wie eine Schlaegerei, viel Clinchen", beschreibt er. Beim Karate hingegen fehlte ihm der Vollkontakt. Also Boxen, wo Technik im Mittelpunkt steht. "Das ist meine Sportart." In der er es weit bringen moechte. "Ich wollte immer mal deutscher Meister werden."
Auch Pech verhinderte das bisher. So brach er sich im Finale der sueddeutschen Meisterschaft die Hand und musste sich mit Rang zwei zufriedengeben. Spaeter kam dann das Geldverdienen dazwischen. Es folgte eine gut fuenfjaehrige Pause, weil der Verfahrensmechaniker für Kunststoffe ein russisches Tanzcafé eroeffnete - in Bad Mergentheim, wo er auch wohnt und bisher in den Ring stieg. Seit diesem Jahr ist er seinen Bruedern nach Boeblingen gefolgt. "Ich will immer noch das Bestmoegliche erreichen", ist sein Ansporn weiterhin hoch. "Aber es ist schwer." Dennoch hofft er, dass es zum Durchbruch kommt. Mit 34 hat er allerdings nicht mehr ganz so viel Zeit. Sein Bruder Alexander hat die Handschuhe bereits an den Nagel gehängt. "Mit 37 ist offiziell Schluss fuer alle im Amateurboxen", klaert er auf. Und auch persoenlich findet er: "Man sollte seine Laufbahn rechtzeitig beenden. Aber das haengt auch vom Boxstil ab."
Viktor Deislings Sohn Eduard setzt Familientradition in Boeblingen fort
Zumal er mittlerweile auch selbst Vater ist, einen Sohn und eine Tochter hat. Alexander Deisling hat drei Soehne, "aber ob die auch mal Boxer werden, kann man noch nicht sagen". Bei Viktor Deisling hingegen weiss man es. Sohn Eduard - einer von zweien - steigt ebenfalls in den Ring. Natuerlich bei der SV Boeblingen, womit er die Familientradition fortfuehrt. Trainer ist der Papa, der seinen letzten Kampf im November 2001 bestritten hat, nachdem Eduard zur Welt gekommen war. "Das hat schon weh getan", denkt er mit Wehmut zurueck, "aber man muss Prioritaeten setzen." Die Meisterschule mit Fachrichtung Elektrotechnik war an den gleichen Abenden wie das Training. "Berufliche Ziele sind wichtiger, man muss die Familie ernaehren", gab es fuer Viktor Deisling keine Zweifel an dieser Entscheidung.
Seit 2014 betreibt er gemeinsam mit Alexander eine Bautraegergesellschaft. Dem Boxen blieb er jedoch erhalten. Als er seinen Meisterbrief in der Tasche hatte, machte er den Trainerschein in Nuertingen beim Wuerttembergischen Boxverband. Er half bei der SVB mit, arbeitete viel mit Jugendlichen, wurde dann auch Jugendsprecher. Im Mai 2009 bekam er die C-Lizenz und war von da an vollstaendig als einer von fuenf Trainern taetig. Der Zulauf zur Boeblinger Boxabteilungs ist immens, bis zu 35 Leute jeden Alters und Geschlechts bevoelkern an Trainingsabenden die Halle. Ob die hinterher auch die eine Hand mit der anderen heben muessen, um den Reissverschluss zu oeffnen, ist allerdings nicht ueberliefert.